Das Zielbild in der Strategieentwicklung
- Sarah Degen-Heinemann
- 3. Aug. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Strategie ist und bleibt ein Thema, und zwar sowohl für private Unternehmen als auch für öffentliche Institutionen. Insbesondere wenn man Strategieentwicklung als wiederkehrenden Prozess einer lernenden Organisation versteht. Als einen Prozess, in dem das Unternehmen innehält, sich selbst und seine Umwelten betrachtet und analysiert, ein Zukunftsbild entwirft, auf das sich der Fokus der Aufmerksamkeit der gesamten Organisation richten kann. Es ist ein Reflexionsprozess, der das Überleben der Organisation in einer sich ständig wandelnden Welt sichert. Und damit ist Strategieentwicklung Führungsaufgabe, die nicht delegiert werden kann.
Aus systemtheoretischer Sicht ist Strategieentwicklung ein wichtiger Teil des Paradoxiemanagements. Denn sie befasst sich mit der planvollen Ausrichtung der Organisation auf eine erfolgreiche Zukunft bei gleichzeitiger absoluter Unkenntnis und Unberechenbarkeit derselben. Strategieentwicklung als paradoxer Auftrag.
Im Rahmen des Strategieprozesses ist die Entwicklung eines Zielbildes für die Organisation ein wichtiger Schritt, der sich an die Analyse des Unternehmens und seines Umfelds anschließt. Es ist der Schritt, in dem sich das Führungsteam einer Organisation von den Mustern der Vergangenheit und den aktuellen Tagesproblemen lösen und den Zukunftshorizont richtig weit aufreißen darf. Je kreativer und weiter, desto wahrscheinlicher ist es, dass Optionen jenseits der ausgetretenen Pfade sichtbar werden.
Und wie kommt man dorthin? Erst einmal gilt: der Weg ist das Ziel. Denn egal welche Methode man für diesen Schritt wählt, es geht um den gemeinsamen Blick der Führungsmannschaft nach vorne, gemeinsam aus der gegenwärtigen Gegenwart in die gegenwärtige Zukunft schauen, also auf die in der Gegenwart konstruierte Vorstellung der Zukunft.
Dabei gibt es Methoden, die sich von der Gegenwart in die Zukunft vorarbeiten. Dazu gehört z.B. die strategische Vorausschau (Strategic Foresight, auch aus der politischen und militärischen Zukunftsforschung bekannt), das Benchmarking oder auch die von Chris Zook und James Allen entwickelte Wachstumsstrategie für Unternehmen „Profit from the Core“, die an das Kerngeschäft und die Kernkompetenzen eines Unternehmens anknüpft.
Bei diesen Methoden ist es sinnvoll sicherzustellen, mögliche disruptive Veränderungen in der Umgebung des Unternehmens bewusst in die Betrachtung mit einzubeziehen. Hier bietet sich an, die erarbeiteten strategischen Optionen anhand der Wild Card-Methode noch einmal auf ihre Robustheit hin zu überprüfen. Mit Wildcards sind eher unwahrscheinliche Ereignisse gemeint, die jedoch sehr große Auswirkungen für das Unternehmen haben können.
Ein anderer Typ von Methoden der Zukunftsbildentwicklung sind solche, die in strukturierten Prozessen auf die Befragung von Expert:innen und die Beobachtung von Veränderungen mit möglichem Einfluss auf die Zukunft setzen, wie z.B. die Delphi-Methode oder das Horizon Scanning. Bei diesen Methoden steht allerdings die Frage nach den kausalen Zusammenhängen zwischen dem Zukunftsbild und der Gegenwart eher im Hintergrund.
Für die Strategieentwicklung von Unternehmen und Institutionen, die in der Gegenwart Entscheidungen treffen müssen, um ihrer gewünschten Zukunft tatsächlich näher zu kommen, bedarf es Methoden, die diesen kausalen Zusammenhängen besondere Aufmerksamkeit schenken. Dafür bieten sich Methoden an, die sich zum einen von der Gegenwart lösen und von der Zukunft her denken und dann auch noch die kausalen Zusammenhänge zur Gegenwart herstellen. Das tun sie, indem sie rückwärts, d.h. von der Zukunft in die Gegenwart Meilensteine erarbeiten, die erreicht werden müssen, um die gewünschte Zukunft zu realisieren. Eine solche Methode ist z.B. das „Backcasting“, bei dem eine radikal positive Zukunft imaginiert wird. Diese Methode kann angereichert werden durch Kreativmethoden oder auch der Entwicklung unterschiedlicher Identitätsentwürfe für das Unternehmen durch unterschiedliche Gruppenkonstellationen, um verschiedene Perspektiven auf die Unternehmenszukunft einzubeziehen. Entscheidend ist der Schritt, in dem rückwärts gedacht wird, was eigentlich hergestellt werden muss, um Zukunft und Gegenwart kausal zu verbinden. Dieser Schritt von der gegenwärtigen Zukunft zurück in die zukünftige Gegenwart, in der die entscheidenden Weichen gestellt werden müssen, um die gewünschte Zukunft wahrscheinlicher zu machen.
In vielen Strategieprozessen tut sich bei diesem Schritt eine Abbruchkante auf. Denn hier geht es um das Treffen von Entscheidungen und die Sicherstellung, dass diese auch umgesetzt werden. Glückwunsch an all diejenigen, deren Strategieprozess mit der Erkenntnis „alles darf so bleiben, wie es ist“ endet. Häufig ist die Situation jedoch eine andere: man spürt den ganzen Prozess hindurch die langsame Zuspitzung und dann kommt der Punkt wo man „Butter bei die Fische“ geben muss. Wo es Entscheidungen bedarf, was so bleiben darf, wie es ist, und was sich verändern muss.
Das ist gar nicht so einfach. Hat man sich gerade noch schöne Zukunftsluftschlösser gebaut, wird es nun konkret und nicht selten auch etwas schmerzhaft. Groß ist die Versuchung, Nebelkerzen zu werfen, Methoden in Frage zu stellen, zu vertagen, kurzum nicht zu entscheiden.
Was hilft in solchen Augenblicken? Sich Strategieentwicklung als eine wiederkehrende Schleife vorzustellen, ein Innehalten der Führungsmannschaft in regelmäßigen Abständen, bei der man jedes Mal wieder die Möglichkeit der Reflexion und vor allem der Anpassung hat. Iterativ eben. Und jedes Mal lernt die Organisation ein Stückchen mehr und immer wieder neu strategisches Denken.
Mehr zu systemischer Strategieentwicklung finden Sie in den Standardwerken von Reinhard Nagel und Rudolf Wimmer in Systemische Strategieentwicklung - Modelle und Instrumente für Berater und Entscheider oder auch in Einführung in die systemische Strategieentwicklung.
Der Artikel ist inspiriert durch die Zusammenarbeit mit Karl Bredemeyer (Netzwerkknoten Unternehmensberatung GmbH) in einem Beratungsprojekt.
Torsten Groth , Timm Richter und Stefan Günther von swf - Simon Weber Friends haben meinen Blick für die Zeitdimensionen geschärft, die bei der Begleitung von Strategieentwicklungsprozessen eine Rolle spielen. Sie haben mich zu dieser Visualisierung inspiriert.
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